Revisionsentscheidung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe

21.02.2024, 7:30 – Nach 1,5-stündiger Verhandlung erging gestern die erste mündliche Entscheidung eines Oberlandesgerichts zu den Protesten der Letzten Generation. Die Staatsanwaltschaft war nach einem Freispruch im Herbst 2022 in Freiburg in Revision gegangen. Das Gericht entschied: Das Amtsgericht Freiburg muss erneut verhandeln. Möglichen Freisprüchen in diesem und ähnlichen Verfahren erteilte das OLG jedoch keine Absage. Der Prozess wurde mit großem Interesse beobachtet und von einer Mahnwache, solidarischen Unterstützer:innen, und anschließendem Protestmarsch begleitet.

Ein Unterstützer der Letzten Generation hatte sich im Februar 2022 an drei Straßenblockaden in Freiburg für ein Essen-Retten-Gesetz eingesetzt. Dafür wurde er im November 2022 freigesprochen. „Der Zweck, den Autofahrern direkt die tägliche Verkehrsbelastung durch den Berufsverkehr und den CO2-Ausstoß vor Augen zu führen, weist einen direkten Sachbezug zur Blockade […] auf“,  begründete der damalige Richter seine Entscheidung. [1]

Da die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision eingelegt hatte, wurde heute vor dem Oberlandesgericht in Karlsruhe verhandelt. Das Urteil wurde mit Spannung erwartet: Menschen aus Berlin, Leipzig, Stuttgart, Freiburg, Rhein-Neckar, Darmstadt, Ulm, Konstanz und Karlsruhe haben sich ab 9 Uhr vor dem OLG Karlsruhe versammelt, um dem Angeklagten beizustehen. Der Prozessbeginn wurde durch Musik, Gesang und einführende Wortbeiträgen von Unterstützer:innen der Letzten Generation, dem Rechtshilfe-Verein RAZ e.V.i.G. und Amnesty International begleitet. Das mediale Interesse war groß.

Nach circa 1,5 Stunden verkündeten die Richter:innen ihre Entscheidung: Der gesamte Fall wird an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen. Der Revision der Staatsanwaltschaft wurde stattgegeben und es sollen ergänzende Feststellungen zu den Auswirkungen der einzelnen Blockaden getroffen werden.

Prof. Dr. Hefendehl, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Universität Freiburg, erklärt zum Urteil: „Die Entscheidung des OLG Karlsruhe ist weder richtungsweisend noch weise. Sie zeigt sich nicht einmal bereit, Farbe zu bekennen und die zunehmend als abwegig empfundene Rechtssprechung zu den sog. Sitzblockaden fortzuschreiben. Sie schiebt einfach die Verantwortung von sich. Die Hoffnung: Möge eine andere Abteilung des AG Freiburg im zweiten Versuch gefälligst so entscheiden wie das Gros der Amtsgerichte“. [2]

Zoe Ruge, Geschäftsführerin vom RAZ e.V.i.G., die den Freispruch vor dem Amtsgericht Freiburg verteidigte, äußerte sich ähnlich: „Das OLG hat es heute verpasst sich eindeutig zu positionieren und sich inhaltlich mit dem Hintergrund der Blockaden zu beschäftigen. Anstatt sich ausführlich die Frage zu stellen, in welchem Verhältnis Art. 20A GG (Schutz unser aller Lebensgrundlagen), und Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) zueinander verhalten, ging es ausführlich auf die Unmöglichkeit einer Entscheidung aufgrund fehlender Angaben ein.

Zwar sei der verfolgte Zweck ‚bewertend in Beziehung zu setzen‘, aber eine politische Bewertung der Protestinhalte wäre dann doch nicht in Ordnung. Das ist enttäuschend, da es heute hier die Möglichkeit gehabt hätte, eine lebendige Zivilgesellschaft zu würdigen.“


Im Nachgang erklärte das Gericht vor der Presse, dass dies keine Absage an mögliche Freisprüche sei, sondern allein Korrekturen notwendig sind für eine inhaltliche Entscheidung.

Am Nachmittag beteiligten sich 50 Unterstützer:innen der Letzten Generation an einem angekündigten, zweistündigem Protestmarsch durch die Karlsruher Innenstadt. Der Angeklagte erklärte auf der Abschlusskundgebung: „Der Protest muss weitergehen: In Gerichtssälen, bei den verantwortlichen Politiker:innen und an den Orten der Zerstörung. Für unser aller Zukunft, für mehr Gerechtigkeit“!

[1] openjur.de/u/2461049.html
[2] strafrecht-online.org/archiv/artikel/2024/2/20/richtungsweisende-entscheidung-wirklich