Widerstand statt Weihnachten – Judith, Miriam & Maja

Wir, Judith Beadle, Miriam Meyer und Maja Winkelmann, befinden uns gerade zum zweiten Mal in der Justizvollzugsanstalt München. In diesem gemeinsamen Brief möchten wir erklären, warum wir das auf uns nehmen und dazu aufrufen, auch an Weihnachten zivilen Widerstand zu leisten.

Judith:

Gestern Nacht hat es geschneit. Die Bäume vor dem Fenster meiner Zelle in der JVA München sind weiß. Ein schönes Bild. Für einen kurzen Moment wundere ich mich über das Gefühl von Leere, wo ich sonst Freude erwartet hätte. Und schon in der nächsten Sekunde löst sich die Betäubung und es trifft mich mit voller Wucht. Ich vermisse meine Kinder! Ich wehre mich nicht gegen das Weinen über den verlorenen Moment, mich mit ihnen über den Schnee zu freuen.

Statt bei meiner Familie zu sein, sitze ich im Gefängnis – zum zweiten Mal in Präventivhaft für den friedlichen Protest gegen das Weiter-so der Regierung. Anstatt sich an das völkerrechtlich bindende Pariser Klima-Abkommen zu halten, schließt unsere Regierung Verträge für neues Öl und Gas. Anstatt anzuerkennen, dass wir uns in einem akuten Notstand befinden und dass dies wahrscheinlich der letzte Moment ist, an dem wir den Klimakollaps noch aufhalten können, verdrängt unsere Gesellschaft kollektiv, was hier passiert.

Judith Beadle | Foto: (c) Marlene Charlotte Limburg
Judith Beadle
Foto: (c) Marlene Charlotte Limburg

Unser Protest hat viele gute und nachdenkliche Resonanz gebracht, aber auch wieder Unverständnis, Ablehnung, Hass und verbale und körperliche Gewalt. Und so befinde ich mich in einem Zustand tiefer Erschöpfung und es fällt mir unglaublich schwer, diesen Brief zu schreiben. Gerne würde ich wie sonst voll Hoffnung und Zuversicht schreiben, aber ich spüre nur Angst. Angst davor, dass sich Menschen über die Feiertage erneut der Verdrängung hingeben, dass es nächstes Jahr auch so weitergeht, dass die Wochen und Monate vergehen und wir plötzlich den Punkt erreichen, an dem unsere letzte Chance verstrichen ist, unsere Zukunft zu retten.

Wie wird sich das anfühlen, zurückzublicken, ungläubig, dass wir alles wussten und lieber verdrängt haben, als zu handeln?

Ich vermisse meine Kinder und hoffe sehr, dass unser Protest nicht vergebens ist.

Miriam:

Es ist seltsam, zum zweiten Mal hierherzukommen. Alles wirkt vertraut. Ich falle sehr schnell wieder in den gewohnten Rhythmus aus Essen, Hofgang und mehr oder weniger sinnvollen Beschäftigungen. Justizbeamtinnen begrüßen mich, als würden sie sich freuen, mich wiederzusehen. Heute Vormittag haben wir im Hof einen (ziemlich hässlichen) Schneemenschen gebaut und ich konnte eine Weile vergessen, wie falsch das alles eigentlich ist. An anderen Stellen fällt es mir immer wieder auf: Wenn ich im Fernsehen einen Bericht über die tödlichen Auswirkungen der Klimakatastrophe sehe; wenn Judith mir erzählt, dass sie sich nicht richtig über den Schnee freuen kann, weil sie lieber mit ihren Kindern darin spielen würde; wenn mir einfällt, dass meine Lieblingsband heute in München spielt, die ich so gerne mal wieder live sehen würde.

Miriam Meyer | Foto: (c) Marlene Charlotte Limburg
Miriam Meyer
Foto: (c) Marlene Charlotte Limburg

Warum tue ich mir das wieder an? Und warum kann es sehr gut sein, dass ich mich direkt nach meiner Entlassung wieder auf eine Straße setze und ein drittes Mal hier lande? Ich stoße oft auf Unverständnis. Die Polizei weist mich in Gefährderansprachen darauf hin, dass mein Verhalten ernsthafte Konsequenzen für meine Zukunft haben kann und fordert mich auf, mein „gefährdendes Verhalten“ zu beenden. Jedes Mal frage ich mich, warum sie mir, die ein bisschen Stau verursacht, das sagen und nicht der Regierung, die mit ihren Entscheidungen für fossile Energien Milliarden von Menschenleben gefährdet. 

Der Präsident des Inselstaates Palau sagte, wir könnten seine Inseln genauso gut bombardieren. Der UN-Generalsekretär bezeichnete Regierungen, die in dieser Krise nicht angemessen handeln, als kriminell. Es ist schon eine sehr verkehrte Welt, in der wir gerade leben, aber egal wie viel Präventivhaft, Bußgelder und Strafverfahren es mir einbringt – das einzig wirklich Gefährliche für meine Zukunft wäre, jetzt keinen Widerstand zu leisten.

Maja:

Sobald mir klar war, dass unsere Lebensgrundlagen und unsere Zivilisation existenziell bedroht sind, war jeder Tag eine Mischung aus Angst, Verzweiflung und Ungläubigkeit, dass nichts getan wird.

Hatte uns nicht die Regierung versprochen, uns zu schützen? Hatten wir uns nicht weltweit vertraglich verpflichtet, Maßnahmen einzuleiten, die die Klimakatastrophe minimieren?

Warum wird das alles mit Füßen getreten, warum werden Rechte, Verträge und Verfassungen gebrochen und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen? Stattdessen sitzen Kinder, Mütter, Studierende, Großeltern auf den Straßen, weil sie es wie ich nicht mehr aushalten, Teil dieser Massenvernichtung zu sein.

Maja Winkelmann | Foto: (c) Marlene Charlotte Limburg
Maja Winkelmann
Foto: (c) Marlene Charlotte Limburg

Ich bin nicht wütend auf die Generationen vor uns, die die Katastrophe bereits hätten verhindern können. Ich fordere lediglich ein, dass sie sich jetzt an die Fakten und an die Verfassung halten. Man kann uns eine Welt in Flammen hinterlassen, doch jetzt weiterhin Öl ins Feuer zu kippen und unsere und kommende Generationen in einen langsamen, qualvollen Tod zu schicken, ist moralisch, politisch und rechtlich nicht hinzunehmen. Wer sich dieses Recht auf Kosten anderer herausnimmt, wird Widerstand spüren. 

Ich will nicht im Gefängnis sitzen, den Rest meines Lebens verschuldet sein und mich immer wieder dem Zorn auf der Straße aussetzen. Doch noch weniger will ich sterben oder meine jüngeren Verwandten, Geschwister oder Freund*innen sterben sehen.

Ich fordere unser Recht von der Regierung ein und solange sie dieses verwehrt, werde ich weitermachen, egal welche Mittel sie einsetzt, um uns zum Schweigen zu bringen und die Fakten unter den Teppich zu kehren. Die Welt, wie wir sie uns alle wünschen, ist noch greifbar. Lasst sie uns zusammen schaffen.

 

Worauf warten wir noch? Die Klimakatastrophe trifft uns verzögert. Sie trifft andere Länder zuerst und die Emissionen von heute sorgen nicht direkt morgen für eine Überschwemmung. Das gibt uns die Illusion, wir hätten noch Zeit. Aber die haben wir nicht! Die Wissenschaft sagt uns, dass wir jetzt die Notbremse ziehen müssen, um nicht alle Kipppunkte zu überschreiten und die Zukunft der Menschheit zu verspielen. Wenn wir warten, bis uns hier in Deutschland die nächsten Extremwetterereignisse, Nahrungsmittelknappheit oder ein Zusammenbruch der Energieversorgung trifft, wird es zu spät sein.

Das ist vielleicht das letzte Weihnachten, an dem wir noch etwas tun können. Was ist ein versäumtes Weihnachten im Gegensatz zu einem versäumten Leben? Wir befinden uns auf einem ganz schmalen Grat mit der Entscheidung: Katastrophe oder Überleben? 

Noch ist es eine Entscheidung, die wir selbst treffen können. Lasst uns zeigen, dass wir viele sind, dass wir nicht aufgeben und dass uns eine Zukunft ohne milliardenfaches Leid wichtiger ist als ein paar Feiertage.

Nächstes Weihnachten ist es vielleicht schon zu spät. 

Lasst uns die Verantwortung in die Hand nehmen und alles dafür geben, unsere und alle zukünftigen Generationen zu schützen. Das Richtige zu tun, ungeachtet dessen, was die Konsequenzen sind, was die Medien sagen, wie sehr die Regierung schweigt, das ist das größte Geschenk, das Weihnachten dieses Jahr bringen kann.

Pressekontakt
Carla Hinrichs
Telefon: +49 3023591611
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