Mit radikalem Pragmatismus ins Gefängnis ⛓ Brief aus dem Gefängnis

Heute habe ich auf dem Fernseher mit dem verzogenen Bild in meinem kleinen Raum die Tagesthemen geschaut. Darin offenbarte der CDU-Politiker Dobrinth, dass für die Klimaaktivist*innen unbedingt ein härteres Strafmaß anzuwenden sei. Kurz vorher hatte die Nachrichtensprecherin von 13 Menschen erzählt, die in München wegen Blockade-Aktionen jetzt 30 Tage weggesperrt worden seien. Ich bin eine von ihnen.

Mein kleiner Raum ist eine Zelle in der JVA Stadelheim – Abteilung Frauen. Das Risiko, länger eingesperrt zu werden, ist eines, das ich bewusst eingegangen bin. Doch ich hätte nicht erwartet, dass ein einziger Tag mit Blockade-Aktionen in München bereits dazu führen würde, dass die Justiz entscheiden würde, mich so lange einzusperren.

Charlotte Schwarzer | Foto: (c) Stefan Müller
Charlotte Schwarzer
Foto: (c) Stefan Müller

Wir gingen am Donnerstag, 03.11. in München um 10:30 Uhr auf eine große Straße mitten in der Stadt. Es gab zwei Gruppen, eine für jede Richtung. Wir gingen bei grün für die Fußgänger, zogen unsere Warnwesten an und hielten die Banner. Auf denen stand: „Was, wenn die Regierung das nicht im Griff hat?“ und „9€ und 100 km/h für alle“.

Der Moment kurz bevor ich auf die Straße gehe, ist immer am schlimmsten; mein Magen schlägt Purzelbäume in grimmiger Erwartung, sich jetzt anderen Menschen in den Weg zu stellen. Wie zu erwarten, ist es laut, Menschen kommen auf mich zu und erzählen mir, warum genau sie jetzt weiter müssen oder schimpfen auf uns. Ich verstehe ihre Wut und das sage ich ihnen auch, manche werden dadurch noch wütender. Aber die Blockade steht und nichts bewegt sich mehr, nach kurzer Zeit setzen wir uns.

Als wir die Sirenen eines Krankenwagens hören, öffnen wir schnell eine Rettungsgasse, doch der RTW fährt schließlich einfach über den Fußweg. Plötzlich bemerken wir ein Polizeiauto, das auf uns zukommt und die meisten von uns kleben sich auf die Straße.

Nur Clemens neben mir und ich verharren, denn wir sind verantwortlich für die Rettungsgasse und bleiben beweglich.

Links neben mir sitzt Maria und als sie ihre linke Hand angeklebt hat, drücke ich auch eine Tube Sekundenkleber in meine linke Hand, Maria gibt mir ihre rechte Hand. Hinter uns auf dem Überweg sind einige Menschen unterwegs, manche bleiben auch länger am Rand stehen.

Ich höre ein paar Mal das klassische „Geht arbeiten!“, aber manche stellen auch Fragen. Die Menschen aus dem Auto direkt vor meiner Nase haben sich mittlerweile Kaffee geholt, verschieben telefonisch ihren Notar-Termin und scheinen ganz interessiert. Leo, der weiter links sitzt, hat angefangen, eine Rede über die Klimakatastrophe zu halten. Nach spätestens 45 Minuten Blockadezeit hat die Polizei alle Autos, die vor uns standen, umgeleitet. Es sind ziemlich viele Polizit*innen da.

 

Als wir einige Zeit später kontrolliert und durchsucht sowie on der Straße gelöst worden sind – mit Seifenlauge, Pinseln und Holzstäbchen – werden wir von der Kreuzung zu einem Transporter getragen. Maria und ich sind noch immer Hand in Hand geklebt, wir werden einfach zusammen weggebracht. Mindestens 5 Polizist*innen tragen uns, wir wehren uns nicht, kooperieren aber auch nicht. Wir würden lieber weiter stören, denn das ist notwendig. Nach längerer Wartezeit in einem kleinen Bereich im Innenhof der Polizeidienststelle – wir reden darüber, wie es für uns war und wie es uns jetzt geht -, werde ich zur Bearbeitung gerufen. Der Kriminalpolizist ist freundlich, auch wenn ich nichts unterschreibe. Nachdem die Formalien geklärt sind, mache ich freiwillig eine Aussage, denn wir dürfen bei all der Bürokratie nicht vergessen, worum es hier geht.

 

„Ich werde weiterhin friedlich zivilen Widerstand leisten, mindestens is zum 02.12.2022, denn die Regierung handelt aktuell nicht, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Sobald Sie mich gehen lassen, werde ich mich wieder auf Straßen setzen, an Stellen mit viel Verkehr und mich eventuell ankleben.“

Die Kollegin auf der anderen Seite des Schreibtischs meines Kripo-Beamten hebt eine Augenbraue, während der meine Aussage eintippt. Sie fragt: „Auch heute noch?“

Es ist früher Nachmittag, ich habe Hunger, ansonsten geht es mir ganz gut. Es spricht also nichts gegen ein „Ja.“

 

Als ca. 2 Stunden später alle bearbeitet und entlassen worden sind, machen wir eine Bestandsaufnahme. Wir stehen unmittelbar vor dem Polizei-Gebäudekomplex, nette Menschen aus München haben Kaffee und Kuchen gebracht und ich habe ein paar viel zu teure Falafeltaschen für alle geholt. Zwei Menschen holen gerade schon neue Banner, denn unsere wurden konfisziert. Die Grundabfrage zeigt: Die Mehrheit würde heute nochmal eine Blockade-Aktion starten wollen, es gibt auch keine großen Widerstände von den anderen. Kleber haben wir. Als wir endlich bereit sind, ist es schon dunkel.

 

Wir gehen nochmal auf die gleiche Kreuzung wie am Vormittag. Es ist Feierabendverkehr und es geht los.

Ich sitze dieses Mal am Rand neben dem Bürgersteig und bin deshalb näher an den Passant:innen. Eine Frau mit einer tiefen, rauchigen Stimme steht dort und ist extrem wütend. Ich höre ihre Worte, schaue aber nach vorne. Dass wir präsent sind und uns nicht auf hitzige Diskussionen einlassen, ist extrem wichtig für die Sicherheit aller Beteiligten. Ich höre, dass an der anderen Seite unserer Reihe, zur Straßenmitte hin, ein Tumult losbricht, aber ich muss auf meiner Seite präsent sein und den Unmut auffangen.

Später wurde mir erzählt, dass dort ein Autofahrer und ein Fahrradfahrer sich fast geprügelt haben, das Fahrrad flog scheppernd zu Boden und jemand zerrte einen von uns auf den Mittelstreifen. Während der ganzen Blockade, die von ca. 19 Uhr bis 24 Uhr hält, passiert zu viel, um es hier zu beschreiben. Es sind viele Menschen unterwegs und ich führe einige Gespräche, teilweise sehr konstruktiv. Die Polizei ist zu so später Stunde schlecht besetzt und so dauert alles viel länger als tagsüber. Gegen 21:30 Uhr legen wir uns kollektiv auf die kalte Straße und Leo gibt ein spontanes Statement ab, dass das als Symbol verstanden werden kann für alle Menschen, die schon jetzt wegen der Klimakatastrophe sterben.

Er hat in beiden Blockaden fast konstant Reden gehalten, was ich niemals könnte und sehr beeindruckend finde. Ich kann mir nicht gut Zahlen merken, aber er feuerte Klimafakten und Zitate am laufenden Band.

Nachdem wir alle gelöst sind, folgt noch die Bearbeitung. Die geht deutlich schneller als am Mittag zuvor, auch die Kriminalpolizisten sind müde. Sie eröffnen mir, dass ich über Nacht in Gewahrsam genommen und am nächsten Tag einer Haftrichterin vorgeführt werden soll. Gegen halb 4, nachdem ich bestimmt zum 10. Mal an diesem Tag durchsucht wurde, falle ich endlich in einer Zelle auf eine Matratze und schlafe innerhalb von Sekunden.

 

Am nächsten Vormittag erzähle ich der Haftrichterin das Gleiche, was ich auch den Polizist:innen erzählt habe. Dass ich weiter stören werde, so lange bis die Regierung auf unsere Forderungen eingeht oder eben bis zum 02. Dezember. Es gibt immer einen Teil unserer Forderungen, den die Regierung schnell und einfach erfüllen kann. Das würde bewirken, dass wir sofort mit den Störungen aufhören – nur ist es leider noch nie passiert. Die Richterin interessiert sich mehr für den 02. Dezember als für die Klimakatastrophe und ich erkläre ihr, dass ich für mich entschieden habe, das Stören so lange auf jeden Fall durchhalten zu können. Sie möchte nicht wirklich, aber entscheidet aufgrund meiner Entschlossenheit und Ehrlichkeit, dass ich bis zum 02. Dezember in der JVA eingesperrt werden müsse. Sie sagt, das sei meine Entscheidung gewesen. Ein Stück weit stimmte ich ihr da zu, doch in diesem Moment vor Gericht war es auch die ihre.

 

Falls Du dich das jetzt fragst, liebe:r Leser:in: Nein, ich bin nicht sicher, ob ich das Sinnvollste, das Beste tue, um die Veränderung zu bewirken, die notwendig ist. Diese Antwort erwartest Du vielleicht nicht von einer Person, die für ihren Protest ins Gefängnis geht. Aber es ist die Wahrheit.

Ich denke schon, dass das ,was wir tun – blockieren, stören – notwendig ist. Ich bin einige Zeit auf der Suche gewesen nach einem Beruf, der sich für mich sinnvoll anfühlt. Ich habe Biologie studiert, dann gelernt als Yogalehrerin zu arbeiten und schließlich eine Ausbildung zur medizinischen Masseurin angefangen. Erst als ich 2020 mit Menschen in Berührung kam, die gewaltfreien zivilen Widerstand leisteten, wurde mir klar, was mir bis dahin gefehlt hatte: Die Ehrlichkeit, Wahrheiten unverblümt anzuerkennen und auszusprechen; und der Mut, dementsprechend zu handeln. Ich wurde einer Sub-Kultur, in der diese Werte nicht nur die Ausnahme, sondern die Regel sind.

 

Ich setze mal voraus, liebe:r Leser:in, dass Du mir darin zustimmst, dass die Klimakatastrophe so schnell und so umfassend wie möglich eingedämmt werden muss. Falls Du dafür noch Überzeugung brauchst, gibt es genug wissenschaftliche Literatur, die Du dir durchlesen kannst. Wie gesagt, Zahlen und Zitate zählen nicht gerade zu meinen Stärken. Lieber möchte ich auf die meistgestellte Frage antworten. Sie ist nicht „Spinnen Sie?“ (BILD) oder „Hast Du keine Arbeit?“, sondern die Frage, warum wir Einzelpersonen blockieren, anstatt direkt zur Politik zu gehen.

Die einfachste Antwort ist, dass das über Jahre versucht worden ist und sich an der Situation trotzdem nicht viel geändert hat. Damit wären wir bei der guten alten Definition des Wahnsinns („das Gleiche zu tun und zu hoffen, dass das Ergebnis sich ändert“) von Einstein.

Straßenblockaden richten sich nicht an die Einzelpersonen, die blockiert werden. Um die Regierung zum Handeln zu bewegen, braucht es Druck aus der Bevölkerung. Für diese ist es zu leicht, zu übersehen (denn es wird zumindest von der Presse gar nicht übertragen), wenn z.B. Ministerien besetzt oder fossile Infrastruktur blockiert werden. Diese Aussage beruht auf Erfahrungswerten. Die Polarisierung, die dann entsteht, wenn scheinbar unbeteiligte Personen in den Konflikt hineingezogen werden, ist der mit wichtigste Aspekt unserer Protestform. Nur, wenn Menschen verärgert werden, entsteht bei Vielen das Bedürfnis, eine Meinung zu haben, sich auf eine „Seite“ zu stellen. Für oder gegen uns? Oder vielleicht auch: „Die Forderungen sind ja vernünftig, aber stellt euch doch lieber vor den Bundestag!“

 

Aber warum sind wir so überzeugt davon, dass diese polarisierende Herangehensweise funktioniert? Schließlich hat die Bundesregierung noch keine unserer Forderungen direkt umgesetzt. Verschiedene Beispiele aus der Geschichte – die Suffragetten, die amerikanische Bürgerrechtsbewegung – zeigen, dass Diskussions-entfachender ziviler Widerstand in Situationen der großen Ungerechtigkeit sehr wirksam sein kann. Es besteht keine Frage, dass eine große Ungerechtigkeit vorherrscht, denn unsere Lebensgrundlagen werden nicht geschützt und die Menschen auf der Welt, die für die Klimakatastrophe am wenigsten können, sterben schon jetzt, während Olaf Scholz Lügen erzählt und sich als Klimakanzler ausgibt.

 

Ich mache diese Aktionen aus Liebe, weil ich meine Verantwortung sehe, alles zu tun, was es braucht, um Leben zu schützen. Es ist notwendig, dass die Regierungen handeln, und dafür braucht es Druck. Unsere Forderungen sind deshalb klar verständlich und schnell umsetzbar. Sie sind relativ klein im Vergleich zu unserer Vision von einer umfassenderen, demokratischeren Herangehensweise, bei der alle gemeinsam nach Lösungen suchen, z.B. in Bürgerräten. Diese Vision im Detail umzusetzen, ist gerade nicht Aufgabe der Letzten Generation. Wir wollen im Moment dem immer stärker werdenden Gefühl der Machtlosigkeit der Menschen entgegenwirken. Die Furcht, dass es schon zu spät sei, um die Klimakrise einzudämmen und die Politik ja doch nicht handle, lähmt uns. Sie muss der Erkenntnis weichen, dass Protest etwas bewirken kann. Nur mit Hoffnung kann die Klimabewegung wieder Kraft gewinnen. Und diese Kraft ist notwendig, um die umfassenden, großen Visionen gemeinsam umzusetzen.

 

Es gab ein lustiges Erlebnis in der Blockade am Abend des 03. Novembers, das es wert ist, hier geteilt zu werden:

Als die Polizei schon da war, hörte ich plötzlich hinter uns einen Menschen wütend brüllen, er war nicht zu verstehen. Ich dachte mir nichts weiter dabei. Wenig später hörte ich jedoch aus der gleichen Richtung eine Ansage von Simon, einem Menschen, der uns eigentlich filmen sollte. Er stellte sich vor und erklärte dann: „Wir sitzen hier, weil die Polizei den Radweg blockiert. Der Einsatzleiter hätte sein Auto 3m weiter vorn oder 3m weiter hinten parken können. Aber er hat es mitten auf den Radweg gestellt.“ Simon und der wütende Mensch saßen auf dem Radweg vor einem Polizeiauto, das dort quer parkte. Neben ihnen lag ein Fahrrad.

Zuerst fand ich die Situation sehr unangenehm, denn sie verwendeten das in meinen Augen nicht leichtfertig einzusetzende Mittel des zivilen Widerstands für so ein kleines Problem. Außerdem könnte die Polizei in so einer Situation natürlich entscheiden, Simon und den darauf wahrscheinlich unvorbereiteten Menschen auch in Gewahrsam zu nehmen. Doch nur wenige Sekunden nach seiner ersten Ansage sprach Simon erneut: „Wenn ich das richtig sehe, wird das Fahrzeug hinter uns jetzt bewegt. Wir sehen: Ziviler Widerstand wirkt!“ Tatsächlich fuhr das Fahrzeug ein paar Meter nach vorne. Ich musste dann doch über diese Situation schmunzeln.

 

Wir haben leider wenig Zeit, was Grund genug ist, alles auszuprobieren, das uns einfällt. Sobald wir merken, dass eine Protestform nicht wirksam ist, verschwenden wir aber auch keine Energie.

Es ist Versuch und Irrtum, man könnte es „radikalen Pragmatismus“ nennen. Wer hätte gedacht, dass eine Ladung Kartoffelbrei auf einer Glasscheibe vor einem Gemälde mehr Diskurs auslöst als der Feueralarm in Ministerien. Aber wenn das so ist, dann her mit dem Kartoffelbrei!

Der Preis dafür, jetzt nicht alles zu versuchen – friedlich, gewaltfrei und mit viel Liebe – ist entschieden zu hoch.

Und wer weiß, vielleicht fangen ja in einer Woche viele Menschen an, ich dafür zu interessieren, dass ich wegen eines einzigen Aktionstags hier hinter Gittern hocke. Wenn wir deshalb ein 9€-Ticket bekommen oder nur ein paar Menschen durch meine Entschlossenheit ihre eigene finden, ist es das doch allemal wert gewesen.

 

Wir sehen uns auf der Straße,

Charlotte Schwarzer

Pressekontakt
Carla Hinrichs
Telefon: +49 3023591611
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