Vierfacher Freispruch, Allgemeinverfügung und verlängerter Gewahrsam rechtswidrig

– Juristischer Rückenwind
für demokratischen Protest –

(v.l.n.r.:) Bernhard Bauer-Ewert (62), Michael Scheurer (74), Michael Salzgeber (25)
und Afra Porsche (25) nach dem Freispruch vor dem Amtsgericht Bensheim

Berlin, 20.9.2023, 9:15 – Am Montag, den 18.9. wurden im Amtsgericht Bensheim in Südhessen vier Unterstützer:innen der Letzten Generation vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen. Michael Salzgeber (25), Afra Porsche (25), Michael Scheurer (74) und Bernhard Bauer-Ewert(62) hatten sich im Rahmen bundesweiter Proteste am 6.9.2022 an einer Straßenblockade in Heppenheim beteiligt. 

Nach ausführlichen Beweisanträgen und Plädoyers der Angeklagten entschied die Richterin, dass die Versammlungsfreiheit in diesem Fall gegen die Beeinträchtigung der Autofahrenden überwiegt und sprach die vier Angeklagten frei.

Auch der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München entschied kürzlich in einem Urteil zu Gunsten des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Nach einem Eilantrag der Letzten Generation gegen eine Allgemeinverfügung (AV) der Stadt Aschaffenburg, stellte der VGH klar: er hält die Verfügung für rechtswidrig und sieht darin eine Verletzung der Grundrechte. [1]

Die Allgemeinverfügung in Aschaffenburg verbot Versammlungen, bei denen Menschen sich auf Straßen im ganzen Stadtgebiet kleben, setzen oder darauf gehen, wenn die Versammlungen im Zusammenhang mit der Letzten Generation oder dem Thema „Klimaschutz“ stehen. Der VGH setzte nun die AV in Bezug auf Sitzblockaden und Protestmärsche aus. 

Das Landgericht München befasste sich unlängst ebenfalls mit einem rechtswidrigen Beschluss. Nach zahlreichen Protesten in München hatte ein Haftrichter für zwei Frauen Präventivgewahrsam angeordnet, der über die von der Polizei beantragte Dauer hinausging. Nach einer Beschwerde durch die Letzte Generation erklärte das Landgericht München den Gewahrsam bis zum 30.9. für rechtswidrig. [2] Solvig Schinköthe (43) und Miriam Meyer (31) wurden schließlich bereits am 10.9. aus der Haft entlassen wurden.

Eine Entscheidung darüber, ob Präventivgewahrsam für Menschen, die friedlich für gerechten Klimaschutz protestieren, grundsätzlich geeignet und verhältnismäßig ist, steht noch aus. Das Gericht erteilte hierzu nochmals eine Frist zur Stellungnahme.

Marion Fabian (73), Sprecherin der Letzten Generation, ordnet die Beschlüsse ein: “Natürlich bestärken uns solche juristischen Teilerfolge und wir würden sie gern feiern. Aber wenn wir den Blick weiten, wird schnell klar: es gibt keinen Grund zum Feiern. Die Bundesregierung ignoriert physikalische Gesetzmäßigkeiten und bricht unsere Verfassung. Dieser Rechtsbruch lässt sich nicht in einzelnen Amtsgerichtsälen verhandeln, er muss in die Öffentlichkeit, auf die Straße getragen werden. Der immer wiederkehrende Versuch, unseren notwendigen Protest zu unterbinden, bedrückt uns – aber er kann und wird uns nicht daran hindern, den Druck auf die Regierung immer weiter zu erhöhen.”

Gestern veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International eine digitale Weltkarte zum Recht auf Versammlungsfreiheit und zur Einschränkung von Protesten weltweit. Amnesty International rechnet Deutschland erstmals zu den Ländern, in denen Protest unterdrückt wird. [3]

[1] Beschluss VGH München: Anhang 1
[2] Beschluss LG München: Anhang 2
[3] Versammlungsfreiheit: Interaktive Karte zeigt Einschränkung von Protest weltweit – auch in Deutschland | 19.09.2023 (amnesty.de)