Letzte Generation richtet sich an Bundespräsident Steinmeier

Demokratie braucht Ehrlichkeit

Pressekonferenz vor dem Schloss Bellevue in Berlin.
(c) Letzte Generation

Berlin, 11.03.2024, 11:00 Uhr – Soeben fand vor dem Schloss Bellevue in Berlin die Pressekonferenz zur neuen Forderung und zu geplanten Protesten der Letzten Generation statt.

Damit wurde heute ein neues Kapitel des Widerstands eingeläutet – die Letzte Generation ruft zum Widerstandsfrühling auf! Bereits an diesem Samstag, den 16.3. um 12 Uhr werden Menschen in bundesweit 10 Städten zu den ersten Ungehorsamen Versammlungen zusammenkommen. 

Gemeinsam fordern sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu auf, sich hinter die Erklärung der Letzten Generation zu stellen, die heute verlesen wurde.
Darin kommt unverblümt zur Sprache, was jetzt notwendig ist, um unser aller Verantwortung gerecht zu werden und aktuellen sowie künftigen Krisen zu begegnen. Vermögenssteuer, Herunterfahren der Flugbranche, Begrenzung der Chemie- und Automobilindustrie – wir müssen uns endlich ehrlich eingestehen, dass ein Weiter-So keine Option ist.

Neben den Ungehorsamen Versammlungen, wird der Protest der Letzten Generation an Orten stattfinden, an denen Ungerechtigkeit und Zerstörung besonders sichtbar werden. Einige der Orte kommen in der Erklärung zur Sprache. Zusätzlich werden diejenigen konfrontiert, die für die aktuellen Krisen hauptverantwortlich sind – der Elefant im Raum wird vor die Kamera gezerrt. 

Hier finden Sie die Zusammenfassung der wichtigsten Punkte der Pressekonferenz.

Forderung: Hand aufs Herz – Demokratie braucht Ehrlichkeit

Einleitend brachte Carla Hinrichs die neue Forderung der Letzten Generation auf den Punkt: 
“Wir fordern Ehrlichkeit.” und erklärte, warum Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier der richtige Adressat für diese Forderung ist: “In wichtigen Situationen kann er sich mit einer Rede an die Nation richten. Er muss Ehrlichkeit in die politische Debatte bringen und das erwarten wir von ihm.”
Denn angesichts des aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskurses tut sich die Frage auf: “Herrscht hier überhaupt Klarheit und Einigkeit darüber, was die Situation ist, in der wir uns gerade befinden?”

Im Anschluss verlas Rolf Meyer, Diplom-Physiker und Sprecher der Letzten Generation, die Erklärung an Steinmeier mit dem Titel: Hand aufs Herz – Demokratie braucht Ehrlichkeit.

Darin heißt es: “Es ist höchste Zeit, die unbequeme Wahrheit auszusprechen: Manches, was heute selbstverständlich ist, muss ein Ende finden. […] Anderes kann in der jetzigen Größe nicht fortbestehen.” Deutlich wird: Es geht um die Demokratie, um Leid und Tod für Milliarden Menschen, um unsere Existenz.

Die vollständige Erklärung ist dieser Pressemitteilung angehängt.

Für die Zukunft auf die Straße

Dann berichtete Laura Bischoff, Schülerin und Unterstützerin der Letzten Generation, von ihrem gemeinsamen Protest mit anderen Jugendlichen vor dem Kanzleramt in Berlin. An dessen Fassade hatten sie einen Hilferuf in oranger Warnfarbe angebracht. Bilder eines Polizisten, der auf Lauras Kopf kniet, waren im Anschluss durch die Medien gegangen. Sie sprach von ihrer Angst und dem Wunsch nach einer “Zukunft, in der wir als junge Menschen Perspektiven haben.”

Darauf folgte ein Aufruf, eben für diese Zukunft auf die Straße zu gehen:
In Berlin, Bremen, Köln, Leipzig, Karlsruhe, Freiburg, Stuttgart, Regensburg, München und auf Rügen werden am 16.3. Ungehorsame Versammlungen stattfinden.
Laura betont: “Die Versammlungen werden sich vom Gehweg bis über die Straße erstrecken. Das heißt: alle können mitmachen!

Realitätsverweigerung in der Politik beenden

Eberhard Räder, Landwirt und Unterstützer der Letzten Generation, hob im Anschluss hervor, dass kleine Reformen nicht ausreichen. Am Beispiel der Landwirtschaft verdeutlichte er, dass es grundlegenden Wandel braucht:
“Es reicht nicht, wie uns viele Politiker und die Agrarindustrie glauben machen wollen: ‘Das System an sich wäre okay, man muss nur immer wieder mal Anpassungen machen und dann läuft das schon.’ Wir sind auf dem Holzweg. Die Politik muss das Agrarsystem revolutionieren.”

Schließlich fiel der entscheidende Satz: “Ich habe noch nie in meinem Leben einen Menschen getroffen, der sagt: ‘Die Zukunft meiner Kinder oder Enkel ist mir egal!’”

Prof. Dr. Nikolaus Froitzheim, Geologe und Unterstützer der Letzten Generation, verdeutlichte daraufhin, warum wir als Gesellschaft trotz der Dramatik der aktuellen Situation nicht längst in den Krisenmodus geschaltet haben. Er lenkte den Fokus auf die Unehrlichkeit und Schönmalerei seitens der Politik.

“Kein Wunder, dass große Teile der Gesellschaft die Warnungen der Wissenschaft für übertrieben halten. Wenn es wirklich so schlimm wäre, dann würde die Regierung doch schon längst alle Alarmglocken läuten! Tut sie aber nicht, und deswegen können wir weiter in der Welt herumfliegen und uns noch schnell eine neue Gas- oder Ölheizung einbauen.”

“Diese Realitätsverweigerung ist es, die immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie mich in den zivilen Widerstand treibt. Wenn ich Bundespräsident wäre, würde ich eine Rede an die Nation halten. Ich würde ungeschönt sagen, in welche humane Katastrophe wir gerade hinein rasen und dass Maßnahmen wie eine gerechte Rationierung, die den Überkonsum der Reichen stoppt, ein faires Herunterfahren der Flugindustrie und eine Vermögenssteuer bitter notwendig sind.”

Prof. Froitzheim beendet die Pressekonferenz mit einem Appel: “Deshalb sage ich: „Sehr geehrter Herr Steinmeier! Sie sind nun gefordert, Ehrlichkeit in die politische Debatte zu bringen! Auszusprechen, dass alles auf dem Spiel steht, was uns lieb ist! Auszusprechen, dass ein grundlegendes politisches Umsteuern notwendig ist! Stellen Sie sich hinter die Inhalte unserer Erklärung!“
Die Erklärung: Hand aufs Herz – Demokratie braucht Ehrlichkeit
Wir stehen an einem entscheidenden Punkt in der Geschichte unserer Gesellschaft.
Viele  Menschen in Deutschland spüren deutlicher denn je, dass die Zeiten unruhiger werden. Die Ängste vor finanzieller Armut, sozialem Abstieg, Kriegen und der Klimakatastrophe sind allgegenwärtig. 

Vorbei sind die Zeiten, in denen wir uns sagen können: “Unseren Kindern wird es einmal besser gehen als uns!”. Auf dem Papier wird Deutschland reicher, jedoch landet das Geld bei immer weniger Menschen. Steigende Kosten für Lebensmittel, Heizen und Mieten, überlastete Krankenhäuser und ungleiche Bildungschancen: Der Handlungsspielraum wird für viele von uns immer enger. Pfandflaschen sammeln und der Gang zur Tafel waren vielleicht einmal die Ausnahme, für immer mehr Menschen ist es heute Alltag. 

Diese Unsicherheiten und Ängste missbrauchen rechtsextreme Parteien in ganz Europa, um menschenfeindliche Inhalte in die Mitte der Gesellschaft zu schleusen. Auch demokratische Parteien werfen zunehmend ihre Werte über Bord, um ihre Macht zu erhalten. Unsere Demokratie und unser Rechtsstaat sind gefährdet.

Sollten wir nicht wissen, dass rechtsextreme Parteien gesellschaftliche Krisen in der Vergangenheit ausgenutzt haben, um an die Macht zu kommen?
In der Klimakatastrophe wird das nicht anders sein. Extremwetterereignisse, sinkendes Grundwasser, Ernteausfälle und immer teurere Lebensmittel: Es geht um unsere Existenz.

Zuerst und am heftigsten trifft die Klimakatastrophe diejenigen Menschen, die sie am wenigsten verursacht haben. Gebiete, in denen heute große Teile der Menschheit leben, drohen unbewohnbar zu werden. Es geht um Leid und Tod für Milliarden Menschen.

Jeden Tag müssen Menschen im Globalen Süden fliehen. Etliche haben keine Alternative, als unter menschenrechtswidrigen Bedingungen zu schuften, um Ressourcen für unseren Wohlstand abzubauen.
Deutsche PolitikerInnen verkennen unsere Verantwortung dafür. Sie dulden systematische Gewalt gegen Menschen an der EU-Außengrenze. Früher haben wir Trump für den Bau einer Mauer kritisiert. Heute ist Europa eine Festung hinter Stacheldraht.

Wir stehen an einem Scheideweg. Es ist Zeit für einen aufrichtigen Blick in die Zukunft. Für das Eingeständnis, dass erneuter Faschismus in Deutschland möglich ist, wenn wir nicht umsteuern. Eine Welt der Krisen und widrigen Lebensbedingungen bietet den Nährboden für Faschismus. Es ist Zeit – auch wegen unserer historischen Verantwortung – dem jetzt konsequent entgegenzutreten. 
Wir müssen die unhaltbare soziale Ungerechtigkeit und die Klimakatastrophe zusammen angehen.

Die Regierung erhebt einen CO2-Preis und zahlt diesen nicht an die Bürger:innen als Klimageld zurück. Der CO2-Preis macht einfachste Bedürfnisse, wie das Heizen von Wohnraum teurer. Die Ärmsten unserer Gesellschaft und die Mittelschicht sollen sparen. Sie können sich die Energie nicht mehr leisten. Die Reichen, die hingegen am meisten verbrauchen, schert ein steigender Preis nicht.
Das Einsparen von Energie lässt sich nicht allein über Preiserhöhungen lösen! Das ist eine Frage von Gerechtigkeit und damit eine Frage von gerechter Rationierung, die dem Überkonsum der Reichen eine Grenze setzt.
Wenn das Wasser knapp wird, lassen wir den Preis doch auch nicht bis ins Unendliche steigen, so dass sich manche nichts mehr zu trinken leisten können, während andere ihren Rasen sprengen.

Warum wird es zugelassen, dass einige immer mehr Häuser besitzen, während andere auf der Straße leben müssen? Das erinnert an Monopoly. Wir brauchen das Geld für alle, also müssen die Superreichen etwas abgeben – eine Vermögenssteuer. Endlich das Bahnnetz reparieren und ausbauen, Häuser dämmen, Moore renaturieren, so vieles ist möglich, was allen etwas bringt, anstatt nur wenigen ihren Luxus.

Dass alles durch Technologie zu lösen sei, ist eine Illusion. Es ist höchste Zeit, die unbequeme Wahrheit auszusprechen: Manches, was heute selbstverständlich ist, muss ein Ende finden. Wenn wir unsere Lebensgrundlagen schützen wollen, muss die Regierung die Flugindustrie fair herunterfahren – allen voran Privatjets und Inlandsflüge. Anderes kann in der jetzigen Größe nicht fortbestehen – zum Beispiel die Automobil- und Chemieindustrie.
Diese Herausforderungen sind so groß, dass die Politik vor ihnen zurückschreckt und weiter junge Menschen in Ausbildungen für Industrien schickt, die keine Zukunft haben. Es gibt zivilgesellschaftliche Initiativen, die zeigen, dass Umschulungen möglich sind. Zum Beispiel können Menschen innerhalb weniger Wochen die Solarmontage erlernen. Doch um diese Herausforderungen anzugehen, sollten wir zuerst die Stimmen derjenigen hören, die am direktesten von den Auswirkungen betroffen sind.

Wir brauchen eine ehrliche Debatte. Erst wenn die Parteien aufhören, die bequemen, alten Märchen weiterzuerzählen und aussprechen, was auf dem Spiel steht, dann können wir die Herausforderungen unserer Zeit angehen. Die Mehrheit will nicht, dass die Zukunft unserer Kinder vernichtet wird. Die Mehrheit wünscht sich eine gerechte Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die nicht nur in Sonntagsreden von ihren Werten spricht, sondern tatsächlich danach handelt.

Deswegen sind Menschen aus der Zivilgesellschaft und insbesondere unser Bundespräsident, Frank Walter Steinmeier, gefordert, Ehrlichkeit in unsere demokratische Debatte zu bringen.

Hand aufs Herz. Es ist Zeit für Ehrlichkeit.