Erster Haftantritt eines Klimaaktivisten der Letzten Generation
Karl Braig (rechts) bei einem Protestmarsch in Berlin
Kempten/Uelzen, 16.12.24, 14:45 – Gegen 15 Uhr gehen heute zwei Klimaaktivisten durch die Pforten der JVA Kempten sowie der JVA Uelzen. Dort werden sie die nächsten 5 Monate bzw. 38 Tage verbringen.
Der 69-jährige Karl Braig ist der erste Aktivist der Letzten Generation, der eine Haftstrafe in Folge einer gerichtlichen Verurteilung antritt. Braig hatte am 6. und 7. März 2023 in Bayern an zwei Straßen-Sitzblockaden der Letzten Generation teilgenommen. Das Amtsgericht Passau verurteilte den Allgäuer wegen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, verbunden mit der Auflage, 500 Euro zu zahlen.
Der Zahlung kam der Vater von zwei erwachsenen Söhnen nicht nach: Er habe sich sein Leben lang auf unterschiedlichen Wegen für Umweltschutz und Klimagerechtigkeit eingesetzt, saß dafür unter anderem bereits im Zuge der Anti-Atom-Proteste der 80er Jahre im Gefängnis. Für dieses uneigennützige politische Engagement nun erneut inhaftiert zu werden, nehme er hin.
Der RAZ e.V. unterstützt die beiden Aktivisten vor, während und nach ihrer Haft. Lilly Schubert vom RAZ zu den heutigen Haftantritten:
„Die Repressionen gegen Klimaaktivist*innen nehmen zu: Ein Vater und Rentner muss für 5 Monate in Haft – kurz vor Weihnachten, wegen eines kurzen Verkehrsstaus. Dieses unverhältnismäßig harte Urteil jetzt wirft die Frage auf, wie künftig gegen Engagement für Menschenrechte und Klimaschutz vorgegangen wird.“
Zur gleichen Zeit tritt auch Student Kevin Hecht (33) in der JVA Uelzen eine 38-tägige Ersatzfreiheitsstrafe an. Hecht wurde in der Folge einer Straßenblockade in Berlin im Zuge eines Gesamtstrafenbeschlusses zu einer Geldstrafe für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Mit diesem Vorwurf wird in Berlin im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern angeklagt, wenn Beteiligte sich bei Protesten versuchen, festzukleben. Hecht saß bereits im August 2023 für 28 Tage in Cottbus eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Folge einer Verurteilung für Proteste der Letzten Generation ab.
Zu seinem Haftantritt heute erklärt er:
„Ich gehe nicht ins Gefängnis für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Ich gehe ins Gefängnis für politisches Engagement, für Widerstand gegen eine Klima- und Wirtschaftspolitik, die die Klimakrise scheinbar als schlechten Scherz abschreibt. Wie viele Menschen müssen wohl leiden und sterben, wie viele Umweltaktivist*innen überall auf der Welt in Haft gehen, bis wir diese globale Katastrophe ernst nehmen, die hier auf uns zurollt, uns teilweise schon überrollt?“
In Deutschland ist Karl Braig einer der ersten Klimaaktivisten der letzten Jahre, der eine rechtskräftige Haftstrafe antreten muss. Währenddessen sitzen in England seit diesem Jahr bereits 20 Personen für ihr Engagement mit der Klimaschutzgruppe und Schwesterkampagne der Letzten Generation, Just Stop Oil, in Haft – zum Teil für Jahre und unter dem Vorwurf, zu ähnlichen Protesten wie denen der Letzten Generation aufgerufen zu haben. (1)
Im Juni äußerte sich im Zuge eines solchen Verfahrens UN-Sonderberichterstatter für Umweltschützer, Michel Forst, in einer außerordentlichen öffentlichen Erklärung, in der er die Rechtmäßigkeit der Verfahren wegen „peaceful environmental protest“ infrage stellte. (2)
Dieser Kritik von Seiten der UN reiht sich ein Statement des UN Special Rapporteur on Human Rights Defenders vom 12. Dezember ein, in welchem insbesondere die Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 gegen Mitglieder der Letzten Generation verurteilt werden. (3)
In einem diesjährigen Bericht zeigt sich Amnesty International höchst alarmiert über die größer werdende Feindseligkeit gegenüber und Einschränkung und Diskriminierung von friedlichen Versammlungen und Protesten in Europa. Deutschland reiht sich ein in einen Trend der Stigmatisierung und Kriminalisierung von Klimaaktivismus und zivilem Ungehorsam. (4)
Als rechtliche und emotionale Unterstützungsstruktur für Klimaaktivost*innen stellen wir fest: All diese Aussagen, Berichte und Geschehnisse verdeutlichen das immer härtere politische und juristische Vorgehen gegen friedliche, demokratische Protestbewegungen. Karl Braig und Kevin Hecht werden tragischerweise nur die ersten Klimaschützer sein, die in Deutschland ins Gefängnis gehen: Weitere Aktivist*innen wurden bereits zu Haftstrafen verurteilt.