- „Beenden Sie unseren Protest, Herr Scholz. Werden Sie ehrlich.“
Berlin, 13.9.2023, 9:30 – Ab heute fokussiert sich der Protest der Letzten Generation erneut auf Berlin. Um 13 Uhr startet von der Reformationskirche in Moabit, BeusselstraĂźe 35, ein Protestmarsch durch die Hauptstadt, in der die Regierung Scholz gerade unsere Zukunft verspielt.
Auf der Pressekonferenz am vergangenen Freitag hatte Sprecherin Carla Hinrichs betont: „Unser Protest wird enden, wenn die Wende eingeleitet ist.“
In einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz betont die Letzte Generation nun erneut, warum sie protestiert: “Wir fordern nicht den Ausstieg aus den Fossilen bis 2030. Wir treten an Sie heran mit dieser physikalischen Notwendigkeit und fordern Ehrlichkeit. Wir fordern Respekt. Wir fordern, dass Sie sich nicht länger vor Ihrer Verantwortung wegducken.
Wir brauchen einen umfassenden Wandel, das ist unbestritten. Eine Kehrtwende in der Art und Weise, wie wir leben und wirtschaften. Das kann nur funktionieren, wenn darüber ehrlich kommuniziert wird.“
Und weiter: „Deshalb gehen wir auf die Straße. Weil wir eine Wende einleiten wollen und müssen – raus aus der politischen Ohnmacht, rein in ehrliche Klimapolitik. Weg von fossil, hin zu gerecht. Uns rennt die Zeit davon. Und doch halten wir an der Hoffnung fest. Wir sind bereit, unbefristet in der Hauptstadt zu protestieren.“
Zeitgleich stellen sie klar: „Doch wir wünschen uns, dass das nicht nötig ist. Wir wünschen uns, dass Sie das Unausweichliche nicht länger hinauszögern. Wie lange, glauben Sie, können Sie die Illusion aufrechterhalten, bis die Katastrophe mit aller Wucht zuschlägt und jegliche Verdrängung unmöglich macht? Die nächste Wahlperiode? Die nächsten zwei? Solange können und werden wir nicht warten.
Beenden Sie unseren Protest, Herr Scholz. Werden Sie ehrlich.“
Der vollständige Brief
Sehr geehrter Herr Scholz,
Die Entwicklungen in diesem Jahrzehnt sind entscheidend für das Ausmaß der Schäden durch die Klimakrise jetzt und in den nächsten Jahrtausenden. Die notwendigen Maßnahmen sind bekannt – das Zeitfenster für die Umsetzung schließt sich jedoch rapide. Das sagt der IPCC. Doch inzwischen brauchen wir keine Prognosen und Berechnungen mehr, um zu verstehen, wie ernst die Lage ist. Wir sind mitten in der Klimakatastrophe. Täglich sterben Menschen an ihren Folgen. Wir erleben, wie entscheidende Elemente zu kippen beginnen, wie der Amazonas stirbt, der Golfstrom versiegt, die Arktis schmilzt. Machen wir uns nichts vor – egal was wir tun, es wird nie mehr so werden, wie es einmal war. Und doch haben wir die Kontrolle noch nicht verloren. Wir sind die Letzten, die die Möglichkeit haben, die katastrophalen Folgen abzuschwächen, uns zu wappnen, für das, was kommt und den Kollaps der Gesellschaft abzuwenden. Doch wir müssen JETZT beginnen.
Ihre Amtszeit ist geprägt von außergewöhnlichen Krisen. Das erkennen wir an. Aber das entbindet Sie nicht von den Verpflichtungen, die Sie mit ihrem Amtseid eingegangen sind.
Sie haben geschworen, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen; Schaden von der deutschen Bevölkerung abzuwenden. Das ist die Rolle, für die Sie angetreten sind, die Sie angenommen und jetzt innehaben.
Hören Sie zu, wenn Wissenschaftler:innen erklären, in welcher Notlage wir uns befinden? Lesen Sie die Berichte, die die riesigen Lücken aufzeigen, zwischen dem, was Sie tun und dem, was notwendig wäre, was das Grundgesetz vorschreibt? Wie kommen Sie zu dem Schluss, Sie hätten die Situation unter Kontrolle?
Wir wollen Ihnen glauben. Wir wollen unser Leben leben in der Gewissheit, dass da jemand im Kanzleramt sitzt, der alles im Griff hat. Aber wenn Ihr eigenes Expert:innengremium Ihnen widerspricht, wie stellen Sie sich das vor? Von Ihrer Überzeugung, dass die Maßnahmen, die Sie in die Wege leiten, reichen, können wir uns keine Sicherheit kaufen.
Mit jeder Tonne CO₂, die wir ausstoßen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Klimasystem kollabiert. Wir müssen notfallmäßig aus den Fossilen aussteigen – also aussteigen aus Erdöl, Gas und Kohle. 2045 ist viel zu spät. 2030 ist ein realistischer, gesellschaftlich möglicher Zeithorizont für den Ausstieg. Wenn wir in Deutschland unsere eigenen Werte und die physikalischen Gesetzmäßigkeiten ernst nehmen, müssen wir bis spätestens 2030 fossilfrei sein.
Sie sprechen immer wieder von Respekt. Sie treten vor die Kamera und wählen Worte der Wertschätzung, der Anerkennung.
Aber was Sie kommunizieren, hat nichts mit Respekt zu tun. Menschen in Berufen auszubilden, die keine Zukunft haben, Rentner:innen, denen der Hitzetod droht, in Sicherheit zu wiegen, Eltern vorzugaukeln, ihre Kinder blickten in eine rosige Zukunft
– mit Verlaub, das ist respektlos.
Aus Respekt fĂĽr die Menschen, die Ihnen ihr Vertrauen geschenkt haben, folgt die Verpflichtung, dass Sie ihnen auch in schlechten Zeiten mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gegenĂĽbertreten.
Damit uns nicht jegliche Kontrolle ĂĽber die eskalierende Klimakatastrophe entgleitet, mĂĽssen wir alle ein GefĂĽhl fĂĽr die Gefahr bekommen, in der wir gerade stecken.
Aber dieses Gefühl vermitteln Sie nicht. Wir haben uns lange gefragt, warum. Und wir wollen Ihnen keine böse Absicht unterstellen – in Anbetracht dessen, worauf wir gerade zusteuern, wäre das ungeheuerlich. Nein, was wir Ihnen unterstellen, ist Folgendes:
Sie trauen sich nicht, die Wende einzuleiten. Weil Sie sich die enorme, notwendige Transformation nicht zutrauen. Und weil Sie sich nicht trauen, Dinge zu sagen und zu tun, die im ersten Moment noch unpopulär sind. Und Sie trauen sich nicht, sich einzugestehen, dass Sie seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, tatenlos zugeschaut haben, wie die Klimakatastrophe eskaliert ist und tausende Menschen mit sich in den Tod gerissen hat.
Vielen Bürger:innen geht es ähnlich. Aber die Möglichkeiten dieser Menschen sind im Vergleich zu Ihren, Herr Scholz, stark begrenzt.
Wir können Petitionen schreiben. Wir können uns lokalpolitisch engagieren, dafür, dass der Dorfanger begrünt wird oder dass die Schaufenster nachts dunkel bleiben. Beides, da werden Sie uns zustimmen, sind wichtige Bestandteile unserer Demokratie – aber sie sind nicht geeignet, die notwendige Transformation in der notwendigen Geschwindigkeit voranzubringen.
Schließlich können wir wählen gehen – Politiker:innen, die als „Klimakanzler“ zur Wahl antreten und dann das Versprechen, das in ihren Plakaten und Reden mitschwingt, einfach nicht einhalten. Das sind die Optionen.
Eine bleibt noch. Und das ist der Protest. Protest zwingt einen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Beim Protestieren sagt und tut man Dinge, die im ersten Moment noch unpopulär sind. Das ist nicht leicht. Das erfordert Überwindung, Mut.
Unser Protest kostet uns viel. Kraft, Zeit, Geld, unsere Ausbildung, unseren Job, Freunde, Familie, Unbeschwertheit, Zukunftspläne.
Warum protestieren wir dennoch? Aus dem gleichen Grund, Herr Scholz, aus dem auch Sie ihre Komfortzone verlassen und statt dem, was populär ist, das tun sollten, was nötig ist.
Es gibt unglaublich viel zu gewinnen. Und wenn wir noch länger zögern, dann verlieren wir alles. Dann fällt jeder Zukunftsplan in sich zusammen.
Wir fordern nicht den Ausstieg aus den Fossilen bis 2030. Wir treten an Sie heran mit dieser physikalischen Notwendigkeit und fordern Ehrlichkeit. Wir fordern Respekt. Wir fordern, dass Sie sich nicht länger vor Ihrer Verantwortung wegducken.
Wir brauchen einen umfassenden Wandel, das ist unbestritten. Eine Kehrtwende in der Art und Weise, wie wir leben und wirtschaften. Das kann nur funktionieren, wenn darĂĽber ehrlich kommuniziert wird.
Deshalb gehen wir auf die Straße. Weil wir eine Wende einleiten wollen und müssen – raus aus der politischen Ohnmacht, rein in ehrliche Klimapolitik. Weg von fossil, hin zu gerecht. Uns rennt die Zeit davon. Und doch halten wir an der Hoffnung fest. Wir sind bereit, unbefristet in der Hauptstadt zu protestieren. Doch wir wünschen uns, dass das nicht nötig ist. Wir wünschen uns, dass Sie das Unausweichliche nicht länger hinauszögern. Wie lange, glauben Sie, können Sie die Illusion aufrechterhalten, bis die Katastrophe mit aller Wucht zuschlägt und jegliche Verdrängung unmöglich macht? Die nächste Wahlperiode? Die nächsten zwei? Solange können und werden wir nicht warten.
Beenden Sie unseren Protest, Herr Scholz. Werden Sie ehrlich.
Hochachtungsvoll
Die BĂĽrger:innen der Letzten Generation