Freispruch in Freiburg und Sicherungshaft in Bayern – Wie passt das zusammen?

München, Freiburg 22.11.2022, 11:00 – Gestern haben in München neun Unterstützer:innen der Letzten Generation Hauptstraßen blockiert. Sie tun dies, um einen Alltag zum Innehalten zu bringen, der absehbar auf den blutigen Zusammenbruch unserer Gesellschaft zusteuert. Ihr Adressat ist die Regierung von der sie einfordern ihrer verfassungsgemäßen Pflichten nachzukommen und alles Notwendige zu tun, um Demokratie, Rechtsstaat und unsere freiheitliche Grundordnung auch über die nächsten 50 Jahre zu erhalten. Nun sind derzeit acht von ihnen in Polizeigewahrsam, drei sollen bis zum 02.12. in der JVA Stadelheim bleiben. Damit erhöht sich die Zahl derjenigen, die für das konsequente Einfordern von höchstrichterlich bestätigten Grundrechten, in bayerischen Zellen sitzen, auf mindestens 21 Personen. 

Viele Juristen betrachten diese Entwicklung mit großen Sorgenfalten. Einige leiten sogar rechtliche Schritte ein. Denn in einer Demokratie ist es legitim für Menschen, Widerstand zu leisten, wenn die Regierung ihre eigene Verfassung missachtet. Dass dem so ist, bestätigte erst gestern ein Amtsgericht in Freiburg. Während gerade Menschen in Bayern ohne Prozess in Gefängniszellen gesperrt wurden, waren die Verhandlung über drei sehr ähnliche Fälle gerade in vollem Gange. Ein junger Mann hatte sich im Frühjahr 2022 an drei Straßenblockaden beteiligt, bei denen es unter anderem zu 18 km Stau auf der Autobahn gekommen ist. Das Urteil nach sechsstündiger Prüfung des Sachverhaltes: Freispruch in allen Anklagepunkten. 

Das Gericht erklärte, dass der Verkehr zwar durchaus beeinträchtigt wurde, es diese Beeinträchtigung aber im Anbetracht des Klimanotfall, in dem sich Deutschland objektiv betrachtet befindet, nicht als verwerflich bewertete. Das Handeln des jungen Mannes sei demnach durch die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit gerechtfertigt. Manche der bei der Verhandlung Anwesenden blockierten direkt nach dem Urteil erneut eine Straße in Freiburg.

Nachdem bereits in den vergangenen Monaten Berliner Amtsrichter nach erster Prüfung die Ausstellung von Strafbefehlen gegen Teilnehmer:innen von Straßenblockaden verweigerten und ein Amtsgericht in Flensburg den Hausfriedensbruch eines Angeklagten für nicht strafbar erklärte, reiht sich dieses Urteil in eine Serie von richterlichen Entscheidungen ein, die friedlichen zivilen Widerstand im Klimanotfall für juristisch Angemessen bewerten.

Der deutsche Rechtsstaat ist hier also in der Lage, deutlich weitsichtiger und differenzierter zu agieren als es der Justizminister Marco Buschmann erst kürzlich immer wieder behauptete. Am Sonntag bei Anne Will gab er sich noch selbstsicher, dass die Bürger:innen, die gegen die verfassungsfeindliche Politik der Bundesregierung Widerstand leisten, verurteilt werden würden und dass die Entscheidungen in Flensburg und Berlin Einzelfälle bleiben würden. Schon einen Tag später müsste er diese Liste um Freiburg erweitern. 

Carla Rochel | Foto: (c) Marlene Charlotte Limburg
Carla Rochel
Foto: (c) Marlene Charlotte Limburg

Carla Rochel, Sprecherin der Letzten Generation: “Wir begrüßen den Mut des Amtsgerichts in Freiburg, ein Zeichen für Rechtsstaat, Grundrechte und den Schutz unserer Lebensgrundlagen zu setzten – ja, uns in unserem Engagement zu ermutigen. Aber auch wenn wir im Gegenteil wie in Bayern ohne Prozess eingesperrt werden, wird uns das nicht davon abhalten, immer wieder mit immer neuen Menschen auf die Straße zu gehen, denn es geht hier um nicht weniger als die große moralische Frage unsere Zeit. Werden wir Milliarden Menschenleben aus Profitinteresse und Kurzsichtigkeit vernichten? Ja oder Nein? Die Kipppunkte beginnen bereits zu bröckeln. Alarmstufe Rot ist bereits erreicht. Wir haben vielleicht nur noch 2-3 Jahren Zeit, um zwischen den zwei Pfaden zu wählen, von denen einer in eine gerechtere, bewusstere Gesellschaft führt und der andere in gesellschaftlichen Zusammenbruch und den Tod von Milliarden. Lieber werden wir für das Blockieren von Straßen angeklagt, als diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit widerspruchslos beizuwohnen.

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Carla Hinrichs
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